Trotz der Lockerung des in § 7 Abs. 4 S. 3 MBO-Ä geregelten, ärztlichen Fernbehandlungsverbots hat die ärztliche Beratung und Behandlung weiterhin grundsätzlich im persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient zu erfolgen. Der persönliche Kontakt im Sinne einer guten Arzt-Patienten-Kommunikation wird auch im digitalen Zeitalter in den Vordergrund gestellt. Digitale Techniken sollen unterstützen, die persönliche Zuwendung des Arztes jedoch nicht ersetzen.
Für den Fall der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bedeutet dies Folgendes:
Ärzte, welche gesetzlich Versicherte behandeln, sind an die vertragsärztlichen Vorgaben gebunden.
Die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses, in der Fassung vom 04.02.2020, regelt in § 4 Abs. 1 S. 2 weiterhin, dass die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit nur auf Grund ärztlicher Untersuchung erfolgen darf. Die AU-Bescheinigung ist zudem auf den vereinbarten Vordrucken zu erteilen, § 5 Abs. 1 S. 1 AU-RL. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss ferner erkennen lassen, ob es sich um eine Erst- oder Folgebescheinigung handelt, § 5 Abs. 1 S. 5 AU-RL. Und schließlich ist eine Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungsbeginn liegenden Tag ebenso wie eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nur ausnahmsweise und nur nach gewissenhafter Prüfung und in der Regel nur bis zu drei Tagen zulässig, § 5 Abs. 3 S. 2 AU-RL.
Darüber hinaus ist die Regelung des § 275 Abs. 1a SGB V zu beachten. Der Arbeitgeber kann bei ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit den MDK einschalten und eine erneute Prüfung der Arbeitsunfähigkeit erwirken. Gemäß § 275 Abs. 1a SGB V bestehen ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt worden ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist.
Dementsprechend sehen sich die in jüngster Zeit am Markt in Erscheinung getretenen Telemedizin Startups wie beispielsweise „AU-Schein.de“ rechtlichen Angriffen ausgesetzt. Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs hat Anfang Oktober 2019 Klage vor dem Landgericht Hamburg (Az. 406 HKO 165/19) gegen das Startup eingereicht, da das Unternehmen einen „100 Prozent gültigen AU-Schein“ verspricht und unzulässige Werbung für Fernbehandlungen macht. Die Wettbewerbszentrale bezieht sich u.a. auf § 9 Heilmittelwerbegesetz.
In einem ähnlichen Verfahren hat das Landgericht München I (Urteil v. 16.07.2018, Az. 33 O 4026/18) der privaten Krankenversicherung Ottonova verboten, Fernbehandlungen im Internet zu bewerben. Der Versicherer bewarb nicht nur Diagnose und Therapieempfehlung, sondern auch die Krankschreibung per App. Die Wettbewerbszentrale argumentierte, es sei fraglich, wie ein Fernbehandler den Pflichten nach dem Infektionsschutzgesetz nachkommen und meldepflichtige Krankheiten erkennen solle. Zudem ist die dauernde ärztliche Tätigkeit an die Niederlassung, d.h. an einen Praxissitz gebunden. Das Landgericht München gab der Wettbewerbszentrale recht und verbot die Online-Werbung. Das Urteil ist nicht rechtkräftig, da der Versicherer Berufung zum OLG München (6 U 5180/19) einlegte.
Derzeit begegnet die Erteilung von AU-Bescheinigungen ohne direkten Arzt-Patienten-Kontakt vielerlei rechtlichen Bedenken. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass politische Tendenzen eine weitere Liberalisierung anstreben. So wurde mit dem Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (DGV), welches seit dem 19.12.2019 in Kraft ist, ein Leistungsanspruch auf digitale Gesundheitsanwendungen (Gesundheits-Apps) geschaffen. Ärzte sollen künftig per Apps verschreiben dürfen und die Kosten werden durch die gesetzliche Krankenversicherung getragen. Die hierfür notwendigen Abstimmungen sind aktuell jedoch noch nicht abgeschlossen.
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